Wie wird der Mensch reif und lebenssatt? Hier im Bild der bekannte Psychoanalytiker Prof. Leon Wurmser, den ich als alten, gereiften Mann bei einer Veranstaltung des Psychoanalytischen Laienforums Nürnberg Juli 2004 kennen lernen durfte.
Wie wird der Mensch reif und lebenssatt? Hier im Bild der bekannte Psychoanalytiker Prof. Leon Wurmser, den ich als alten, gereiften Mann bei einer Veranstaltung des Psychoanalytischen Laienforums Nürnberg Juli 2004 kennen lernen durfte.

Entwicklungspsychologisches in der Bibel

 

Bei meiner beruflichen Tätigkeit als Religionslehrer an der Realschule, aber noch mehr bei meiner eherenamtlichen Betätigung als Prädikant in meiner Ev.-Luth. Kirche in Bayern wurde mir immer mehr bewusst, dass biblische Texte Enwicklungen oder Entwicklungsstadien von Menschen beschreiben. Das war für mich eine weitreichende Entdeckung, weil sie verhindert, gesetzlich irgendwelche Idealnormen zu predigen, die niemand erfüllen kann. Wenn ich die biblischen Personen in ihrem jeweiligen Entwicklungsstand herausarbeite, wird sich der Abstand zu uns Normal-Sterblichen einebnen. Kein Meister ist je vom Himmel gefallen. Alle mussten an sich arbeiten, sich entwicklen. Wir stehen dann vor der gleichen Aufgabe, wie die großen bibischen Protagonisten. Und das erleichert es uns, unseren Entwicklungsstand zu erkennen, anzunehmen und daran zu arbeiten. 

 

Ich erinnere mich an eine Predigt zum Verlorenen Sohn Lk 15,11-32, die für mich eine klassische Pubertätsgeschichte ist. Ohne darauf näher einzugehen kurz meine Grundthese dazu: Der jüngere Sohn geht seinen Weg, schwimmt sich frei, wird erwachsen, während dem älteren diese Loslösung und die damit verbundene Eigenständigkeit, das Erarbeiten einer eigenen Idendität, nicht gelingt. Und mitten drinnen der Vater, der wie alle Eltern diese oftmals kräfte- und nervenzehrenmde Entwicklungen aushalten muss. Theologisch gesprochen bejaht Gott, der Vater, diese Entwicklungen, um die kein Mensch herumkommt, will er im biblischen Sinne "alt und lebenssatt" werden.

 

Auch die Erzählung von den Söhnen des Zebedäus, Jakobus und Johannes Mk 10,35-45, reiht sich hier nahtlos ein. Über das darin verarbeitete Thema der narzisstischen Selbsterhöhung und des kindlich pubertären Größenwahns habe ich in der Passionszeit 2015 gepredigt. Zusammenfassend versuchte ich herauszuarbeiten:

"Ich denke, dass zum Dienen eine gewisse Reife gehört. Je reifer Christen geworden sind, desto weniger müssen sie sich selbst erhöhen, desto leichter fällt es ihnen, auf dem Boden der Realität zu bleiben und dabei dort zu dienen, wo das Dienen seine Zeit hat und wo sie dazu in der Lage sind."

 

Eine ganz zentrale Stelle innerer, geistlicher Reifung findet sich im Hohen Lied der Liebe 1. Kor 13

1. Kor 11-13:

Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind

und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind;

als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war.

Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; (dunkl. Bild, gr. αἰνίγματι ="rätselhaft")

dann aber von Angesicht zu Angesicht.

Jetzt erkenne ich stückweise;

dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.

Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei;

aber die Liebe ist die größte unter ihnen.

Dass wir uns körperlich, psychisch und sozial entwickeln ist eine Binsenweisheit. Dass sich religiöses Bewusstsein

ebenfalls entwicklet und verändert, unterstreicht hier Paulus mit dem Hinweis auf die spirituelle Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen.

 

Dazu aus meiner Predigt vom 7. Febr. 2016:

"Wir werden in diesem Leben dieses "dunkle Bild" wohl nicht durchschauen. Aber das Bewusstsein, dass dort mehr ist, dass dort etwas Tiefes, etwas Lebensbejahendes ist, dieses Bewusstsein kann steigen. Das Gefühl, dass dort im noch Unsichtbaren etwas auf uns wartet, jemand uns erwartet, das kann wachsen. Und es wächst diese Gewissheit, dass jenseits von naturwissenschaftlicher Realität ein tieferes Sein auf uns wartet. Dieses tiefere Sein wird im AT z.B. „Jahwe“ genannt, das ist eine der hebräischen Gottesbezeichnungen. Und Jahwe heißt übersetzt: „Ich bin, der ich bin.“ Dieses "Ich bin, der ich bin" ist jenseits des Sichtbaren, jenseits der Objektivierbarkeit, ist jenseits dieser naturwissenschaftlichen Kategorien. Dort wo dieser „Ich bin, der ich bin“ ist, dort bekommt das Leben sein Tiefe, dort leuchtet das Licht, mit dem sich das "Rätsel" des Lebens umfassend erkennen lässt. Und die Begegnung mit diesem „Ich bin, der ich bin“ ist das Ziel des Glaubens, die Vereinigung mit diesem „Ich bin, der ich bin“ die Erfüllung. Irgendwann - niemand kann sagen, wann – irgendwann werden wir diesen Gott nicht nur erahnen, sondern ihm begegnen, von Angesicht, zu Angesicht. Die christlichen Mystiker nennen diesen Augenblick "Erleuchtung". Und die Bibel nennt diesen Augenblick ebenso (s. mein Kapitel "Erleuchtung ..."), das ist das Ende des im Predigtext genannten „dunklen Bildes“ ("Rätsels"). Da geht mir sozusagen ein inneres Licht auf, das "Rätsel" löst sich auf - mehr kann man geistlich nicht wachsen." ... Und so werden wir reif im Glauben für den Glauben und die damit einhergehende Hoffnung und Liebe.

 

Weitere grobe Skizzen dieses Ansatzes zu einzelnen biblischen Texten werden folgen.

 

Aktualisiert: 180702