Freuds einfaches Instanzenmodell, dessen Begrenztheit ihm bewusst war.
Freuds einfaches Instanzenmodell, dessen Begrenztheit ihm bewusst war.

Sigmund Freud: Die Traumdeutung

 

Die Traumdeutung gilt als bahnbrechendes und grundlegendes Werk Sigmund Freuds.

Der Aufriss dieser Arbeit:

I. Die wissenschaftliche Literatur der Traumprobleme (S. 1 - 99)

II. Die Methode der Traumdeutung (S. 100-126)

III. Der Traum ist eine Wunscherfüllung (S. 127 - 138)

IV. Die Traumentstellung (S. 139 – 168)

V. Das Traummaterial und die Traumquellen (S. 169 – 282)

VI. Die Traumarbeit (S. 283 – 512)

VII. Zur Psychologie der Traumvorgänge (S. 513 – 626)

VIII. Literaturverzeichnis (S. 627 – 635)

 

Zum damaligen Umfeld

Im Gegensatz zu der damals in der Medizin ausschließlichen Anschauung sieht Freud die Träume nicht durch somatische (körperliche) Reize bedingt, die somit keiner Deutung fähig seien (vgl. das Sprichwort „Träume sind Schäume“). Als eigenständige psychische Akte sind sie gemäß Freud einer Deutung unterziehbar. Während die populäre Traumdeutung damals wie heute Träume praktisch ausschließlich symbolisch deutet, was zu unzähligen Traumbüchern führt, verwendet Freud diesen Ansatz nur am Rande. Trauminhalte können nach seiner Meinung von Person zu Person unterschiedliche Bedeutung haben.

 

Die Chiffriermethode

Sein Ansatz ist ein grundsätzlich anderer. Er verwendet eine Art „Chiffriermethode“ (S. 102). Dabei wird der Traum nicht als Ganzes, sondern in Einzelteilen gedeutet. Er fasst den Traum „als etwas Zusammengesetzes, als ein Konglomerat von psychischen Bildungen auf“ (S. 108). Das zentrale Leitmotiv dabei sind immer Wunscherfüllungen: „Der Traum ist die (verkleidete) Erfüllung eines (unterdrückten, verdrängten) Wunsches“ (S. 166). Träume stehen in Zusammenhang mit am gleichen Tag Erlebten. Träume greifen auf früher, meist in der Kindheit Erlebtes zurück. Das verarbeitete Material, die Traumgedanken werden (bedingt durch eine Art Zensur) entstellt.Die Aufgabe der Traumdeutung liegt in der Entschlüsselung dieser Zusammenhänge.

 

"Typische Träume"

Innerhalb dieses Systems gibt es neben Symbolen auch typische Träume. Typische Träume, also solche, die unabhängig von einer individuellen Person immer wieder vorkommen, sind:

  • Der Verlegenheitstraum der Nacktheit
  • Die Träume vom Tod teurer Personen
  • Der Prüfungstraum
  • Die Traumarbeit

 

Träume haben unterschiedliche Ebenen.

Der nach dem Erwachen erinnerte Traum wird von ihm "manifest" genannt, die dahinter stehenden Inhalte "latent". Die Traumarbeit unserer Psyche besteht somit darin, das auslösende Material (Unangenehmes, Schamhaftes, unbewältigte Erlebnisse, Verletzungen, Verdrängtes,...) in eine Form zu bringen, die von der inneren Zensur, die sich bei jedem Menschen findet, zugelassen wird. Das latente Material wird sozusagen „maskiert“.

Wesentliche Momente der Traumarbeit sind:

  • Die Verdichtung: Hinter jedem Zug des Traumes stehen mehrere Erlebnisse/Vorstellungen, die sich in dem einen Punkt zusammenfinden.
  • Die Verschiebung: Die im manifesten Traum vorhandenen Bilder können auf ganz andere (latente) Traumgedanken zurückgehen.

Sie sind mehrfach determiniert. „Traumverschiebung und Traumverdichtung sind die beiden Werkmeister, deren Tätigkeit wir die Gestaltung des Traumes hauptsächlich zuschreiben dürfen.“ (S. 313) Zwangsläufig kommt es dabei zu Mischbildungen und Entstellungen bis hin zur Umkehrung des Inhalts.

Bei der Verschiebung und Verdichtung stehen verschiedene „Darstellungsmittel“ (S. 315ff) zur Verfügung. Dies zu kennen ist eine unablässige Voraussetzung für die Deutungsarbeit. „Die Darstellbarkeit“ (S. 344ff), deren Möglichkeiten und Grenzen, sind bei der Traumdeutung unerlässlich. Grundsätzlich lässt sich festhalten: Die Sprache der Träume sind Bilder.

 

Bei allen Teilen des manifesten Traumes bleibt offen, „ob es

a) im positiven oder negativen Sinn gedeutet werden soll (Gegensatzrelation);

b) historisch zu deuten ist (als Reminiszenz);

c) symbolisch, oder ob

d) seine Verwertung vom Wortlaut ausgehen soll.“ (S. 346)

 

Zahlen und Sätze/Reden sind immer übernommen (S. 410ff). Der Traum kann weder rechnen noch selbständig Reden oder „Urteilsakte“ (S. 462) erzeugen. Wesentlich sind die Affekte. Sie entkommen am ehesten der Zensur, wenn sie sich dabei an andere Traumgedanken anheften und so im manifesten Traum zunächst völlig unverständlich sind. (S. 462ff) „Wo sich im Traum ein Affekt findet, da findet er sich auch in den Traumgedanken, aber nicht umgekehrt. Der Traum ist im allgemeinen affektärmer als das psychische Material, aus dessen Bearbeitung er hervorgegangen ist.“ (S. 470) Dies ist Ergebnis der Zensur, die mit dieser „Unterdrückung der Affekte“ (S. 470) den Wunsch, weiter zu schlafen, ermöglichen will. „Die Affekthemmung wäre dann der zweite Erfolg der Traumzensur, wie die Traumentstellung deren erster war."  (S. 471)

 

Der Umkehrprozess in der Traumdeutuung

Der Traumdeutevorgang arbeitet umgekehrt, also im Prinzip wie bei einem Bilderrätsel. Durch freie, zunächst oftmals völlig abwegige Assoziationen (sog. "Grundprinzip der freien Assoziation" in der Psychoanalyse) zu den Traumerinnerungen) ergeben sich Zusammenhänge. Der manifeste Traum wird auf Grund des latenten Trauminhaltes verständlich. Die Beziehung des manifesten (des erinnerten) Traumes zum latenten (verdeckten) Trauminhalt wird aufgedeckt und bewusst gemacht (vgl. Grundprinzip der Psychoanalyse als „aufdeckende“, bewusstmachende Therapie).

 

Zur Psychologie der Traumvorgänge (S. 513ff)

Es ist hinlänglich bekannt, dass Träume vergessen werden oder sich der Deutung entziehen. Beides ist dem Widerstand zuzuschreiben, dem nicht daran gelegen ist, das im Traum – wenn auch mehr oder weniger maskiert – Durchgekommene dem Bewusstsein preiszugeben. Im Traum kommt es zur Regression in früher Erlebtes oder Phantasiertes. Freud stellt sich diesen Prozess so vor, dass Wahrnehmungen früher Erlebtes (sog. Er = Erinnerungsspuren) assoziieren. Diese erregen das Unbewusste (Ubw), das sich seinerseits ausleben, Luft machen will. Das dabei zugrundeliegende beunruhigende, schambesetze, wenig schmeichelhafte, nicht gesellschaftsfähige, das, was man im bewussten Wachzustand niemals sagen oder tun würde ... Material wird – im Modell örtlich ausgedrückt – an der Grenze zwischen Unbewusstem und Vorbewussten (Vbw.) von der Zensur zurückgehalten.

 

Aufgrund der im Traum verminderten Zensur kommt es mittels der im Traum möglichen Darstellungsmittel, der Verschiebung und der Verdichtung zum manifesten Traum, der im Traum Handlungen ausführt und – wären seine Motive bewusst - auch zu Handlungen drängt.

 

Freud hat diese Instanzen (Erinnerungsspuren, Unbewusstes, Vorbewusstes ...) in einem einfachen System (Schema), dessen Begrenztheit ihm bewusst war, zugunsten der leichteren Darstellbarkeit folgendermaßen gezeichnet (s. Skizze oben rechts; S. 564)

W = Wahrnehmung (z.B. Tagesereignisse)

Er = Erinnerungsspuren

Ubw = Unterbewusstsein

Vbw = Vorbewusstsein

M = Motilität (Bewegung, Auswirkung)

 

 

Schlussbemerkung

Freunds Traumdeutung hat wie wohl kein anderes Werk die Psychologie verändert. Das Grundgerüst gilt in tiefenpsychologisch orientierten Kreisen nach wie vor unverändert, wenn auch hier und da Modifikationen vorgenommen wurden. Andererseits wurden dadurch massive Gegenbewegungen hervorgerufen, die ihrerseits neue psychologische Systeme (besonders die sog. behavioristische Psychologie) hervorgerufen haben. Von Teilen dieser Gegenbewegungen wird Freud bis zum heutigen Tage vehement abgelehnt, ja sogar bekämpft, was wiederum auf die Brisanz seiner Lehre hinweist. So oder so hat Freuds Sicht der Dinge eine in der Psychologie nie da gewesene Wirkungsgeschichte. Die Traumdeutung erfuhr damit eine völlig neue Ausrichtung, von der in der langen Geschichte der Traumdeutungen lediglich Aristoteles eine Vorahnung hatte.

 

Literatur: Sigmund Freud: Gesammelte Werke. 2. Band, Fischer Taschenbuch-Verlag Frankfurt am Main 1999 (Erstauflage 1942, zugrunde liegt die 8. veränderte Auflage von 1930)

 

Aktualisiert: Dr. W. Kornder 130213