Im "Ganzen" wirken immer unterschiedliche Kräfte, die gestaltet sein wollen.
Im "Ganzen" wirken immer unterschiedliche Kräfte, die gestaltet sein wollen.

Welt im Umbruch – den Umbruch gestalten

(Gedanken zum "Ganzen" im Advent 2015)

 

Eine weltweite Dynamik, die Angst macht

Paris, Charlie Hebdo, IS, Boko Haram – Begriffe, die das „Böse“ im Menschen augenscheinlich, offensichtlich machen. Ohne Rücksicht auf Verluste soll hier etwas durchgesetzt werden. Menschlichkeit spielt dabei keine Rolle mehr, Hauptsache, es verbreitet Angst und Schrecken und „nützt“ – wie auch immer - der eigenen, eingegrenzten Sicht.

 

Klimagipfel in Paris. 150 Staatschefs sind anwesend. Die politisch mächtigsten Männer und Frauen der Welt treffen sich, um …, ja wozu? Die Erderwärmung, die die gesamte Menschheit betrifft und bereits jetzt Auslöser für viele Konflikte ist, soll auf 2 Grad begrenzt werden. Man braucht dazu eine Menschheit, die weniger energiehungrig ist. Wenn die Energieeinsparung nicht gelingt, sind die Folgen noch mörderischer als die der Terrorgruppen und   -organisationen.

 

Flüchtlinge, Asyl – die offenen Türen Deutschlands. Ist uns allen noch wohl dabei?

Problemlösung in den Krisenherden, mit einer Entwicklungshilfe, die zumindest bislang sehr kleinkariert war? Problemlösung durch drei Milliarden an die Türkei und Zugeständnissen trotz der dort unerträglichen Menschen- und Bürgerrechte? Deutsche Tornados in Syrien, 1200 deutsche Soldaten im dortigen Einsatz?

 

Nachtrag am 16. Dez. 2015: Die Ergebnisse des Gipfels finden allgemein Zustimmung. Die in Aussicht genommene Abkehr vom fossilen Zeitalter ist ganz klar zu begrüßen. Es bleibt jetzt das Umsetzen - nach dem Beschließen die eindeutig schwierigere, aber unabdinbar nötige Aufgabe.

 

Wie umgehen mit dieser weltweiten Dynamik?

 

Das „Ganze“ in unkontrollierbarer Bewegung

Ich denke, dass viele von uns solches in sich bewegen oder besser: durch solches bewegt werden. Und ich glaube, dass wir uns als erstes dieser Dynamik stellen müssen: Da ist etwas in Gange, was wir nicht mehr beherrschen. Das „Ganze“ ist in einer beängstigenden Bewegung.

 

Um das Ganze kümmern wir uns im Allgemeinen überhaupt nicht oder nur in Sonntagsreden. Aber gerade in der nicht mehr kalkulierbaren Bewegung des Ganzen liegt das Angstmachende, dem die einen durch Fundamentalismus und die anderen bislang durch Ignorieren begegnen.

 

Was tun – inmitten unserer Begrenztheit und inmitten dieser schier ausweglosen Situation?

 

Vielleicht sollten wir eher nichts tun, nichts als zu hören und zu spüren, nicht, um zuallererst einen Lösungsweg zu finden. Es geht zunächst um das, was ist, - um das Sein. Im Sein anzukommen und nicht mit Scheuklappen in unserem Wohlstandsstaat im Wolkenkuckucksheim zu leben. Das wäre vielleicht ein erster Schritt -  und diesen dann wirken lassen.

 

Defizite werden bewusster

Es ist für mich interessant, dass sich meine persönliche Haltung zum Islam ändert. Der Islam ist schon da, er kommt mit vielen Flüchtlingen immer mehr. Aber muss das bei mir nur Bedenken erzeugen? Haben wir nicht die gleichen Wurzeln als Religionen, die sich gemeinsam auf Abraham berufen? Ist es nicht toll, dass viele ganz normale Muslime ihren Glauben ernsthaft und würdig zu leben suchen? Ist es nicht ein Denkanstoß für uns Christen, dass der Islam eine gewaltige Identifikationskraft hat? Womit identifizieren wir uns als Christen oder als moderne Weltenbürger ohne Gottesbezug?

 

Und plötzlich reden wir wieder von Gemeinschaft, von Gemeinschaft mit den Franzosen, von der Weltgemeinschaft auf dem Klimagipfel, wir, deren „Credo“ der Individualismus ist? Wir, deren zentrales Anliegen schon lange nicht mehr das „Wahre, Schöne und Gute“ (für alle) ist! Wir, die wir „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ entweder hinten angestellt oder doch sehr einseitig einfach für unser auf „D“- oder höchstens „EU“-begrenztes Leben vorausgesetzt haben.

 

Advent/Ankunft – Was kommt wo an?

Es tut sich was im Ganzen. Und da liegen auch Chancen, die wir umso leichter ergreifen können, je klarer wir die Dinge sehen. Und dieses „Sehen“, „Spüren“, „Erahnen“, das bekommt einen Raum, wenn wir innehalten, wenn wir sitzen, ziel- und zweckfrei, und das ankommen lassen, was auch mitschwingt.

 

Advent – „Ankunft“. Das ist das Spannende in unserer Weltsituation, das ist das Spannende im Advent. Altes loslassen, alte Feindbilder loslassen, Neues wahrnehmen und auch Ungewohntes wagen.

 

-       Wirtschaftsflüchtlinge, die nichts anderes wollen wie wir, nämlich in Wohlstand zu leben, als unser „Ebenbild“ zu sehen.

-       Patriarchalische Männer einer islamischen Welt nicht nur zu verurteilen, sondern wegen ihrer Rückständigkeit eher als „Bedürftige“ zu sehen.

-       Die Durchhaltekraft traditioneller muslimischer Frauen zu bewundern, mit der sie ihre aus unserer Sicht unwürdige Lage hinnehmen, weil das für sie in ihrer Situation wahrscheinlich besser ist, als dagegen zu rebellieren.

 

Advent – „Ankunft“, eine spannende Zeit, nicht nur wegen der Ankunft der Flüchtlinge.

Advent – eine Ankunft, die inmitten einer Welt verändern will, weil sich etwas ändern muss. Und diese Änderung fängt im Einzelnen an, bei jedem von uns:

 

Wird Christus tausendmal in Bethlehem geboren

und nicht in dir, du bleibst noch ewiglich verloren.

(Angelus Silesius)

 

 Aktualisiert: 160417